Ja, ich weiß schon, das richtige Wort heißt Fahrerlaubnis.
Bisher habe ich ja noch nichts über den Straßenverkehr geschrieben. Er unterscheidet sich etwas von unserem. Wer schon mal Russian-Traffic-Fail-Videos bei Youtube geschaut hat, bekommt einen Eindruck davon.
Die erste Reaktion ist üblicherweise: Hier möchte ich nicht selbst Auto fahren. Nun ja …, das verhindert zumindest bei einem Blechschaden zur Verantwortung gezogen zu werden und ohne Sprachkenntnisse einen Unfallhergang beschreiben zu müssen. Als Alternative gibt es verschiedene Taxis und auch einen guten Bus- und Bahnverkehr. Das ist die preisgünstigste Art, sich hier fortzubewegen. Aus Erzählungen wissen wir, dass manche Touristen in Überlandtaxis um Leib und Leben fürchteten und schweißgebadet ihr Ziel erreichten. Insofern ist die stressfreie Wahl des Verkehrsmittels nicht einfach zu treffen.
Wir fahren zumeist selbst. Das erfordert jedoch ein hohes Maß an Ruhe, Aufmerksamkeit und Geduld. Unsitten, die einen in Westeuropa zum Verkehrsrowdy qualifizieren, sind hier allgemein akzeptiert. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Ignorieren der angezeichneten Fahrspuren, Kurvenschneiden, Spurwechsel und Abbiegen ohne zu Blinken, Abbiegen aus der zweiten Spur und Überholen bei Gegenverkehr, im Vertrauen, dass dieser weit genug rechts bleibt.
Im Grunde funktioniert das auch ganz gut, es zwingt einen jedoch, immer bremsbereit zu sein und das gesamte Umfeld im Blick zu haben.
Als deutscher Fahrschüler habe ich bestimmte Rituale nie verstanden. Warum soll ich denn schon vor dem Blinken in den Spiegel schauen? Oder warum soll ich blinken, wenn ich allein auf der Straße bin? Mittlerweile weiß ich natürlich, dass es dabei darum geht, bestimmte Abläufe so in das vegetative Nervensystem einzubrennen, dass sie automatisch funktionieren.
Nun also zum georgischen Führerschein. Auf die folgende Recherche bin ich besonders stolz, da sie ausschließlich auf georgischen Quellen beruht, die ich erstmal auf georgisch finden musste.
Die Theorieprüfung ist wohl ähnlich wie bei uns, man muss 30 Fragen beantworten, wovon höchstens drei falsch sein dürfen. Inwieweit der Fahrschüler an Theoriestunden teilnehmen muss, weiß ich nicht, scheint mir auch weniger relevant.
Zur Praxis: Fahrschulautos sieht man im Straßenbild nicht. Eine Teilnahme am echten Straßenverkehr findet in der Fahrschule nicht statt, geschweige denn zwanzig Fahrstunden, mit Nachtfahrt, Überlandfahrt und ähnlichem. Was wir gesehen haben ist ein Verkehrsübungsplatz, also das Pendant zu unserem ADAC-Platz, nur eben weniger offiziell. Das scheint der Platz zu sein, auf dem Eltern mit ihren Kindern ein bisschen um Autoreifen herumfahren und anfahren, kuppeln und schalten lernen und ein bisschen rangieren. Das scheint die wesentliche Vorbereitung auf die Fahrprüfung.
Am echten Straßenverkehr nimmt der Fahrschüler nicht teil. Auch die Prüfung findet bisher ausschließlich auf einem abgesperrten Gelände statt und umfasst folgende sechs Übungen
- Seitlich Einparken
- Slalom fahren um Fähnchen
- Wenden in drei Zügen
- Rückwärts einparken
- eine Acht fahren
- einen Hügel überfahren
Auf dem georgischen Gesetzesserver gibt es eine Illustration der Übungen. Also Blinken, Vorfahrtsregeln, Spurwechsel, Überholen und allgemein fließender Verkehr kommen dabei nicht vor. Das folgende Bild zeigt ein offizielles Übungsgelände zwischen Vake-Park und Vake-Stadion.
Nach unbestätigten Erzählungen nehmen manche Fahrschüler nach der Prüfung noch Fahrstunden im realen Verkehr, da sie sich verständlicherweise nicht direkt in den Tifliser Stadtverkehr trauen.
Und nun noch eine gute Nachricht: Ab dem 25. April 2022 gibt es eine zweite praktische Prüfung. Diese wird abgehalten unter realen Verkehrsbedingungen auf vorab ausgewählten Strecken, die vom Innenminister Georgiens genehmigt wurden. Hier die Originalquelle, die mir Google freundlicherweise übersetzt hat.
Auf dem Weg in die EU scheint mir das ein wichtiger Schritt zu sein. Bis sich die Änderung nennenswert auswirkt wird es wohl noch etwas dauern. Ich werde meinen defensiven Fahrstil beibehalten und weiterhin jeden Spurwechsel demonstrativ mit Blinken ankündigen. Missionarischer Nutzen ist zwar fraglich, aber ich muss mich auch nicht umgewöhnen.